Über die CD „Harmony“
15. Mai 2019Wenn in Japan im März die zartrosa Kirschblüten aufgehen, dann beginnt die Zeit des Frühlings, des Aufbruchs – und für die Pianistin Mayuko Miyata auch eine Zeit der Nostalgie. Denn jeder Aufbruch heißt auch Abschied, jede neue Beziehung das Ende einer alten. Jeder Frühling heißt auch, dass ein langer Winter vorbei ist. Miyata, die in Japan aufgewachsen ist und unter den Kirschblüten ihre Schulzeit begonnen und beendet hat, liebt es sehr: dieses fragile und kurzlebige, aber kraftvolle Zeichen der Natur für einen Zustand, der nur durch Polarität entstehen kann: die Harmonie.
Die Blüte ziert das Cover von „Harmony – Piano Works by Frédéric Chopin“, Mayuko Miyatas erstem Solo-Albums, das 2019 bei Hey!blau Records erschienen ist. Harmonie, ein Wort, das so leicht und einfach klingen mag, beschreibt für Miyata einen Zustand der Vereinigung, des Einklangs von Entgegengesetztem. Einen Zustand, der nicht ohne Verluste, nicht ohne Ängste entstehen kann. Nicht ohne Loslassen und Vertrauen.
Er mag sich leicht und mühelos anfühlen, so wie der Flug der Bergdohle, den Miyata bei einer Reise in Salzburg auf dem Untersberg bewundert hat- und der auch einen Platz auf ihrem CD-Cover bekommen hat. Und doch ist der Flug erwachsen aus glücklichen Versuchen und Fehlschlägen, aus Euphorie und Schmerz, aus Tag und Nacht, aus Geburt und Tod. Erst wenn man beides kennt, sagt die Musikerin, kann Harmonie entstehen. Chopins Musik trägt all das in sich, und Mayuko Miyata kitzelt in den 12 Tracks mit glasklarem Anschlag diese Dualität aus jeder Note.
Die Liebe für Chopins Musik begleitet Mayuko Miyata wie die Liebe zur Kirschblüte schon lange. Ein ganzes Jahr lang widmete sich die Pianistin während ihres Studiums seinen Werken, bei der Pianistin Lidia Grychtolowna in Polen. „Wenn ich Chopin spiele fühle ich mich authentisch und vollkommen“, sagt Mayuko Miyata. „Alles in mir ist mit jeder Phrase, jeder Harmonie einverstanden. Um seine Musik zu spielen muss ich mich nicht einfühlen oder mir seine Noten zu eigen machen – ich brauche nur mich“, sagt Miyata.
Lange hat sie, vielleicht gerade deshalb, mit sich gerungen, seine Werke auf einem Album zu versammeln. Es waren nicht nur seine Noten und ihre fließende, feine Spielart, die dort klingen sollten, sondern Menschheitserfahrungen in ihrer ganzen Intensität und Ambivalenz. Mayuko hat mit sich selbst gerungen, mit Hindernissen, die sich innerlich und ganz praktisch vor ihr auftaten und überwunden werden mussten. Dann aber, im Frühling 2019, war das Album fertig. Nach einem langen Winter, dem der Frühling folgte. Pünktlich zum Beginn der Kirschblüte.
Text: Fanny Jimenez